Mikroökonomie I

Vorlesung und Tutorenübung im Grundstudium
 Sommersemester 2004
 Vorlesung: Di. 18.30 -20.30 in H V und Mi. 8-10 in H VI
 (An den Dienstagen 4.5., 1.6. und 15.6. stattdessen in Hörsaal H!!!)
 Ferner findet am Dienstag, den 8.6. keine Vorlesung statt;
 diese wird am darauffolgenden Freitag, den 11.6., 14-16 Uhr in H VI nachgeholt.
 Vorlesungsbeginn: 14. April
 Tutorien: wöchentlich ab 19. April
 Klausurtermin: 19.7.2004


Vorbemerkung:

Die heute institutionalisierte Trennung von Mikro- und Makroökonomie ist wissenschaftlich unbefriedigend; sie hat aber eine bedeutsame Geschichte. Die Elemente der heute Mikroökonomie genannten Theorie entstanden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Man versuchte damals nachzuweisen, daß für alle Märkte bei vollkommener Konkurrenz simultan Preise gefunden werden können, bei denen Angebot und Nachfrage sich decken, so daß die Erwartungen der Wirtschaftsagenten erfüllt werden und insbesondere freiwillige Arbeitslosigkeit nicht vorkommt. Diese Theorie war im 20. Jahrhundert zwei Herausforderungen ausgesetzt: Erstens war im Zuge der wirtschaftlichen Konzentration unvollkommene Konkurrenz zur Regel geworden. Dieser Herausforderung begegnete die Theorie durch eine Anzahl heterogener Modelle der unvollkommenen Konkurrenz, die jedoch in den neoklassischen Begriffsapparat eingebunden blieben. Zweitens: Erst die Erfahrung der Weltwirtschaftskrise führte zur Herausbildung der sogenannten Theorie der effektiven Nachfrage (Keynes), die - richtig verstanden - anders strukturiert ist als die Mikroökonomie und die deshalb heute in einer gesonderten Vorlesung (Makroökonomie) behandelt wird. In der Tat ist sie der klassischen Ökonomie (Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts) enger verwandt als der Neoklassik. Unsere Vorlesung setzt sich zum Ziel, Inhalt und Funktion der neoklassischen Theorie sorgfältig herauszuarbeiten, indem zuerst der Entstehungszusammenhang dargestellt wird. Im ersten Teil der Vorlesung befassen wir uns daher, nach der Erläuterung von Grundzügen der europäischen Wirtschaftsgeschichte, mit klassischer Theorie. Die historische Herangehensweise ist hier nicht Selbstzweck sondern soll helfen, die modernen Ansätze besser zu verstehen und einzuordnen. Nach der Darstellung der Neoklassik im zweiten Teil soll dann der dritte an die neueren Ansätze heranführen.


Vorlesungsgliederung:

A. Einleitende Kapitel

  1. Einführung: Ebenen des kritischen Denkens
    (Das positivistische Verständnis der wissenschaftlichen Methode; empirische und logische Überprüfung; Alltagssprache und Wissenschaftssprache; Argumente der Ideologiekritik; Hermeneutik; Gegensatz von theoretischer und historischer Auffassung der Wirtschaftswissenschaft.)
     
  2. Grundbegriffe der Neoklassik
    (Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage; Faktorleistungen und Bedürfnisbefriedigung; Grenzenlosigkeit gegebener Bedürfnisse des Individuums im Menschenbild der Neoklassik und - im Gegensatz dazu - klassische Vorstellung der grenzenlosen Kapitalakkumulation und der wirtschaftlich induzierten Bedürfniserweiterung.)
     
  3. Historischer Rückblick
    (Grundbegriffe der Ökonomie in Anwendung auf vorkapitalistische Verhältnisse; "Arbeit", "Freizeit" bei Primitiven; Wirtschaftsdenken der Antike; Institutionen des europäischen Feudalismus; Stadt und Land.)
     
  4. Entstehung des Kapitalismus
    (Der Merkantilismus; Aufstieg des Handelskapitals und seine Bedeutung für den Nationalstaat; Absolutismus; Entstehung und Organisation der Lohnarbeit; Auflösung der feudalen und merkantilen Beschränkungen der Faktormärkte; Liberalismus.)
     
  5. Klassische Theorie
    (Freies Proletariat; wirtschaftliche Mobilität von Boden und Kapital; Entlohnung von Arbeit, Kapital und Boden gemäß uniformen Raten; Subsistenzlohn und Ricardos Kornmodell zur Erklärung des tendenziellen Falls der Profitrate; wirtschaftliche und politische Emanzipation des Bürgertums vom Adel am Beispiel der englischen Korngesetzgebung.)
     
  6. Der erste analytische Ansatz: Arbeitswertlehre
    (Logischer Zirkel bei Messung des aus Löhnen, Profiten und Renten zusammengesetzten Sozialprodukts in Preisen bei Bestimmung der Preise aus Kapitalkosten, Lohnkosten und Renten; Arbeitswertlehre Ricardos als Lösungsvorschlag; politische Wendung des Begriffsinstruments auf den Gegensatz von Kapital und Arbeit in der Behandlung der Ausbeutung und Erklärung der fallenden Profitrate bei Marx.)
     
  7. Produktionspreise bei Sraffa
    (Überwindung der Widersprüche der Arbeitswertlehre; moderne Preisbestimmung; kostenminimierende Produktionstechnologie; Verteilungsänderungen und Wirkungen derselben auf relative Preise; Illustration anhand eines Zweisektorenmodells.)

B. Neoklassische Produktionstheorie

  1. Land und Arbeit
    (Extensiver und intensiver Landbau; einfachste Produktionsfunktion und schematische Anwendung der Grenzproduktkurve; Illustration anhand vorkapitalistischer Verhältnisse.)
     
  2. Ricardos klassisches Kornmodell und einfachstes neoklassisches Modell
    (Ricardos Verteilungstheorie dargestellt mit Hilfe der einfachsten Produktionsfunktion; Ausgleich der Grenzprodukte der Arbeit auf verschiedenen Böden durch Existenz von uniformer Lohn- und Profitrate; daraus folgende Maximierung der Produktion einer gegebenen Arbeitsmenge auf gegebenen Ländern; Gegenüberstellung der neoklassischen Lösung bei gleicher Produktionsfunktion; Grenzproduktivitätstheorie der Verteilung angewendet auch auf das Land; kritische Würdigung der Grenzproduktivitätstheorie der Verteilung.)
     
  3. Produktionsfunktion mit mehreren Faktoren
    (Darstellung der Funktion durch Isoquanten; partielle Variation und Skalenvariation; mikroökonomisches Gleichgewicht; Grenzproduktivitätstheorie der Verteilung und logische Notwendigkeit konstanter Skalenerträge für dieselbe; Substitutionsprinzip; makroökonomisches Gesamtgleichgewicht mit Angebots- und Nachfragefunktionen für alle Faktoren und Waren im einfachsten Fall.)
     
  4. Gleichgewicht des Unternehmens in der kurzen Periode
    (Übergang zur Kostenanalyse; Grenzkosten und Durchschnittskosten; Einordnung der Kosten eines Betriebs unter diese Begriffe; Definition der vollkommenen Konkurrenz; Gleichgewicht des Unternehmens durch Mengenanpassung; Profit in der kurzen Periode; Grenzkostenkurve als Angebotskurve des Einzelunternehmens; aggregierte Angebotskurve der Industrie.)
     
  5. Gleichgewicht der Unternehmung in der langen Periode
    (Bewegung der Konkurrenz und langfristiges Gleichgewicht; langfristige Angebotskurve bei konstantem technischem Wissen und konstanten Skalenerträgen; Kostendegression; interne und externe Skalenerträge von Unternehmungen und Industrien; Gleichgewicht bei externen Erträgen, die der Industrie intern sind; kein Gleichgewicht bei der Unternehmung mit internen Skalenerträgen; neoklassische Theorie, produktionstheoretische Realitäten und Konzentrationsprozeß; Begrenzung der Produktion durch den Absatz und Bedeutung der Nachfragebedingungen; Relevanz der Theorie der positiven externen Effekte für die Produktivitätsentwicklung, der negativen externen Effekte für die Analyse von Umweltproblemen.)

C. Theorie der Nachfrage und Grundlagen der Spieltheorie

  1. Kardinale und ordinale Nutzentheorie
    (Kardinale Nutzentheorie; Möglichkeiten und Grenzen ihrer sozialkritischen Implikationen; Fragwürdigkeit der kardinalen Nutzenmessung; ordinale Nutzentheorie und Begrenzung der sozialkritischen Implikation auf das Pareto-Optimum.)
     
  2. Indifferenzkurvenanalyse
    (Präferenzordnung und Indifferenzkurven; Ableitung der Nachfragekurven des Haushalts bei Änderungen der relativen Preise und des realen Einkommens; Einkommens- und Substitutionseffekt; tautologischer Charakter dieser Ableitungen.)
     
  3. Nachfrage- und Angebotskurven
    (Normale und anomale Verläufe von Nachfragekurven; Elastizitätsbegriff; inelastische Nachfrage und Auswirkungen derselben auf die Produzenten, z. B. in Entwicklungsländern; elastische Nachfrage und Luxusgüter; Grenzerlöskurve.)
     
  4. Neoklassisches Monopol
    (Grenzkosten und Grenzerlös; Möglichkeit des Gleichgewichts ohne Kapazitätsauslastung; Irrealität der implizierten Angebotsrestriktion bis in den Bereich elastischer Nachfrage.)
     
  5. Modellbeispiele für unvollkommene Konkurrenz
    (Geknickte Nachfragekurve und Preisstarrheit; Unbestimmtheit der Preisbildung im Oligopol; Aspekte der Preisdifferenzierung.)
       
  6. Grundlagen der Spieltheorie
    (Gleichgewichte in dominanten Strategien; Gefangenendilemma; Nash-Gleichgewicht; eindeutige und mehrere Nash-Gleichgewichte.)

Literatur:

  • Reiß, Winfried (1992), Mikroökonomische Theorie. Historisch fundierte Einführung, München: Oldenbourg; mehrere Auflagen
  • Varian, Hal R. , Intermediate Microeconomics. A Modern Approach, New York: W. W. Norton; dt. Ausgabe: Grundzüge der Mikroökonomie, München: Oldenburg; mehrere Auflagen
  • Reader zur Vorlesung Mikroökonomie 1 (Der Reader wird voraussichtlich am Dienstag den 27.4. vor H V verkauft werden.)


Weiterführende Literaturhinweise:

  • Adorno, Theodor W. et al. (1969), Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Hamburg: Luchterhand (Nachdruck 1989: München: Deutscher Taschenbuch Verlag)
  • Bauer, Leonhard und Herbert Matis (1988), Geburt der Neuzeit. Vom Feudalsystem zur Marktgesellschaft, München: Deutscher Taschenbuch Verlag
  • Böhme, Helmut (1968), Prolegomena zu einer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main: Suhrkamp
  • Borchardt, Knut (1978), Grundriß der deutschen Wirtschaftsgeschichte, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
  • Buchheim, Christoph (1994), Industrielle Revolutionen. Langfristige Wirtschaftsentwicklung in Großbritannien, Europa und in Übersee, München: dtv
  • Czayka, Lothar (1991), Formale Logik und Wissenschaftsphilosophie. Einführung für Wirtschaftswissenschafter, München: Oldenbourg
  • Feess-Dörr, Eberhard (1991), Mikroökonomie. Eine Einführung in die neoklassische und klassisch-neoricardianische Preis-und Verteilungstheorie, Marburg: Metropolis (Vergriffen! Feess (1997): Mikroökonomie. Eine spieltheoretisch- und anwendungsorientierte Einführung. Marburg: Metropolis. ist nicht vergleichbar und wird zur Vorlesung nicht empfohlen.)
  • Finley, Moses I. (1977), Die antike Wirtschaft, München: dtv
  • Føllesdal, Dagfinn et al. (1986), Rationale Argumentation: ein Grundkurs in Argumentations- u. Wissenschaftstheorie, Berlin: de Gruyter
  • Furger, Franco (1994), Ökologische Krise und Marktmechanismus. Umweltökonomie in evolutionärer Perspektive, Opladen: Westdeutscher Verlag
  • Henderson, James M. and Richard E. Quandt (1980), Microeconomic Theory. A Mathematical Approach, Third Edition, Auckland: McGraw-Hill; dt.: (1983), Mikroökonomische Theorie. Eine mathematische Darstellung, 5. Aufl., München: Vahlen
  • Kohl, Karl-Heinz (1993), Ethnologie - die Wissenschaft vom kulturell Fremden. Eine Einführung, München: C. H. Beck
  • Issing, Otmar, Hg. (1994), Geschichte der Nationalökonomie, 3. Auflage, München: Vahlen
  • Kromphardt, Jürgen (1991), Konzeptionen und Analysen des Kapitalismus - von seiner Entstehung bis zur Gegenwart, 3. Auflage, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (UTB)
  • Pasinetti, Luigi L. (1988), Vorlesungen zur Theorie der Produktion, Marburg: Metropolis
  • Robinson, Joan and John Eatwell (1973), An Introduction to Modern Economics, London: McGraw Hill; dt.: (1974), Einführung in die Volkswirtschaftslehre, München: Verlag Moderne Industrie
  • Roncaglia, Alessandro (1987), Handbuch der modernen Wirtschaft. Ursprung - Problemzustand - Entwicklungstendenzen. Wien: Verlag der Österreichen Staatsdruckerei
  • Screpanti, Ernesto and Stefano Zamagni (1993), An Outline of the History of Economic Thought, Oxford: Clarendon
  • Schefold, Bertram (1976), "Nachworte", in: P. Sraffa, Warenproduktion mittels Waren, Frankfurt am Main: Suhrkamp
  • Schefold, Bertram, Hg. (1986), Ökonomische Klassik im Umbruch. Theoretische Aufsätze von David Ricardo, Alfred Marshall, Vladimir K. Dmitriev und Piero Sraffa, Frankfurt am Main: Suhrkamp
  • Schefold, Bertram (1989), Mr Sraffa on Joint Production and Other Essays, London: Unwin Hyman
  • Schefold, Bertram (1994), Wirtschaftsstile. Band 1: Studien zum Verhältnis von Ökonomie und Kultur, Frankfurt am Main: Fischer
  • Seiffert, Radnitzky, Hg. (1992), Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, München
  • Sraffa, Piero (1925), "Über die Beziehung zwischen Kosten und produzierter Menge", in: Bertram Schefold, Hg., Ökonomische Klassik im Umbruch, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986
  • Sraffa, Piero (1960), Production of commodities by means of commodities. Prelude to a critique of economic theory, Cambridge: Cambridge Univ. Press; dt. (1976) Warenproduktion mittels Waren, Frankfurt am Main: Suhrkamp
  • Varian, Hal R. (1992), Microeconomic Analysis. Third Edition, New York: W. W. Norton; dt.: Mikroökonomie, München: Oldenburg
  • Whorf, Benjamin Lee (1963), Sprache, Denken, Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie

Tutoren:

René Flé
Jerry Paul
Jens Reich
Lino Reis
Christian Schmidt
Stefan Schweighöfer
Goran Vuckovic


Termine der Tutorengruppe:

In Klammern sind die Raumkapazitäten angegeben.

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag
8
-
10
Lino Reis
NM 111 (40)
  Vorlesung
H VI
Lino Reis
NM 111 (40)
 
10
-
12

 

Jens Reich
NM 110 (15)
Jerry Paul
NM129

    Stefan Schweighöfer
NM 117 (25)
12
-
14
   Stefan Schweighöfer
H 6 (60)

 René Flé
H 12 (200)

 

Jerry Paul
H B (60)

14
-
16
Christian Schmitt
NM 113 (40)
Goran Vuckovic
H 16
Jens Reich
NM 110 (15)
René Flé
H 14 (120)
Christian Schmitt
H 1
 
16
-
18
  Goran Vuckovic
H 13 (60)
     
18
-
20
  18.30 - 20.00
Vorlesung
i.d.R. H V
     

 

 

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